Sexueller Missbrauch in der Familie - Thesenpapier
14.9.17 VHS Offenbach
Familiäres
1) Bei sexuellem Missbrauch in der Familie sind die Erwachsenen, die dem Kind bei der Bearbeitung der schrecklichen Erlebnisse helfen könnten, selbst die Täter. Das ist besonders schlimm und perfide. Es hat aber auch etwas Klares: diese Eltern sind Täter und haben ihren Kindern definitiv nicht geholfen!
2) Beim Aufarbeiten unseres früheren Missbrauchs ist das A und O die Klarheit, das Wissen über die wahre Geschichte. Dazu gehören Antworten auf die Fragen: - wer waren Täter, wer half den Tätern? - was passierte genau? - in welchem Alter war ich da?
Bei der Schaffung dieser Klarheit zeigt sich als Erfahrung in den Selbsthilfegruppen, dass sexueller Missbrauch in der Familie oft bereits in den ersten Lebensmonaten oder -jahren seinen Anfang nimmt.
3) Täter – Vater – Mutter: alle drei spielen eine eigene große Rolle.
4) Sexueller Missbrauch in der Familie bedeutet öfter als gedacht:
Mehrere Täter, Frauen wie Männer; mehrere Opfer, Jungen wie Mädchen.
Mehrere Generationen, manche waren erst Opfer und später Täter.
Es sind Missbrauchsfamilien
5) Zahlen – sie sind nichts Genaues:
Täter: ¼ Frauen und ¾ Männer
Opfer: 1/3 Jungen und 2/3 Mädchen, insgesamt jeder 10.
¾ aller Missbrauchsfälle finden in der Familie statt.
Heilendes
6) Wer auf seine Körperempfindungen genau achtet, kann sehr frühe Erinnerungen an sexuelle Gewalt wieder gewinnen. Unser Körper erinnert sich!
7) Meine Erfahrung in den SH-Gruppen mit den Menschen, die bereits länger in den Gruppen sind, ist ganz eindeutig: wenn die Erinnerung an ein Trauma mit beispielsweise 12 Jahren die heutigen Folgen nicht auflösen kann, dann ist die Geschichte mit 12 nicht komplett! Häufigster Grund ist, dass die 12-jährige Geschichte eine Retraumatisierung darstellt zu einer früheren Geschichte. Das kann durchaus bis ins 1. Lebensjahr zurückgehen.
8) Wir müssen in unsere Missbrauchsgeschichte hineintauchen. Die dabei gefundenen Wahrheiten sind wichtig nicht nur wegen der Klärung, sie fühlen sich auch gut an!
Und genau damit beginnen die Traumafolgen sich aufzulösen, sie verschwinden, sie heilen.
9) Die Traumatisierung findet im kompletten Nervensystem statt. Spüren – Fühlen – Denken.
Dort lassen sich die bis heute andauernden Folgen auch auflösen; und nur dort.
Gespräche zum Thema sind wichtig: deshalb organisieren wir Selbsthilfegruppen.
Spüren und Fühlen ist wichtig: deshalb organisieren wir Workshops zur Körperwahrnehmung.
10) Heilen heißt Selbermachen.
Selbst verantwortlich sein, sich selber helfen. Nicht mehr Opfer sein. Sich Hilfe holen, ja natürlich, verantwortlich aber selber sein.
11) Dort, wo’s zwickt, schauen wir hin. Welche Empfindungen mögen wir ganz und gar nicht? Genau dort lässt sich was finden.
12) Aktuelle Überreaktionen bedeuten Trigger. Wenn ich stark reagiere, fühle, denke bei einer ‚Lappalie‘. Diese Empfindung ist nicht falsch, ich bin nicht falsch. Allerdings: es wurde eine Erinnerung angetriggert. Und in der alten Geschichte war die Stärke meiner Reaktion angemessen.
Keine Angst vor ‚Retraumatisierung‘! Da wird in neuer Geschichte das alte Gefühl sehr stark angeregt. Wir suchen die alte Geschichte, die zum Gefühl passt.
Wir distanzieren uns z.B.: ich bin nicht das starke Gefühl, es hat einen Ort in meinem Körper und es wird wieder weggehen.
13) Starke Empfindungen aller Art können Erinnerungen sein. Wenn wir sie als solche ernst nehmen, können sie anfangen, sich aufzulösen.
Und jetzt kommt‘s: Schmerzen unbekannter Herkunft können Erinnerungen sein. Wenn sie das sind, dann sind sie auflösbar, restlos. Ich habe damit nennenswerte persönliche Erfahrungen, und einige unserer Mitglieder in den SHGen auch.
Manche Fälle von Migräne oder Fibromyalgie können Erinnerungsschmerzen sein.
14) Auch im Gelenk- und Muskelbereich manifestieren sich Erinnerungen. Wird daran gearbeitet, können die ursprünglichen Traumageschichten ‚hochkommen‘ und die Verspannungen o.ä. lösen sich auf.
Öffentliches
15) Mein Wunsch: Über sexuellen Missbrauch wird so oft und in ähnlicher Weise in der Öffentlichkeit berichtet wie über Autounfälle. Dass Missbrauch alltäglich ist, soll über die Medien erfahrbar werden.
16) Seine eigene Missbrauchsgeschichte erzählen ist wichtig. Das Problem ist nicht wirklich Scham, sondern Angst.
Meine eigene Geschichte ganz kurz: ich wuchs in einer Missbrauchsfamilie auf, Haupttäter war meine Mutter. Aber auch Vater, Großmutter, ein sadistischer Kinderschänderring. Der Missbrauch fand zw. 0 und 14 Jahren statt. Meine Haupt-Folge-Probleme waren Ängste, Hilflosigkeitsgefühle und Schmerzen (körperliche). Ängste und Hilflosigkeitsgefühle sind seit 5 Jahren restlos beseitigt. Mein Redeverbot war eine Todesdrohung. An den Schmerzen und an Sexualität arbeite ich.
17) Worum geht es? Es geht um die Verhinderung von Missbrauch. Und damit als allererstes um eine ständige öffentliche Berichterstattung. Täter müssen wissen, dass sie in Zukunft erwischt werden, weil wir Betroffene und die Medien darüber berichten.
Ich freue mich über eine Diskussion meiner Thesen.
Auch über diesen Vortrag hinaus. Wo, wie und wann auch immer.
Udo Gann
udo.gann@missbrauchsthemen.de
14.9.17 VHS Offenbach
Familiäres
1) Bei sexuellem Missbrauch in der Familie sind die Erwachsenen, die dem Kind bei der Bearbeitung der schrecklichen Erlebnisse helfen könnten, selbst die Täter. Das ist besonders schlimm und perfide. Es hat aber auch etwas Klares: diese Eltern sind Täter und haben ihren Kindern definitiv nicht geholfen!
2) Beim Aufarbeiten unseres früheren Missbrauchs ist das A und O die Klarheit, das Wissen über die wahre Geschichte. Dazu gehören Antworten auf die Fragen: - wer waren Täter, wer half den Tätern? - was passierte genau? - in welchem Alter war ich da?
Bei der Schaffung dieser Klarheit zeigt sich als Erfahrung in den Selbsthilfegruppen, dass sexueller Missbrauch in der Familie oft bereits in den ersten Lebensmonaten oder -jahren seinen Anfang nimmt.
3) Täter – Vater – Mutter: alle drei spielen eine eigene große Rolle.
4) Sexueller Missbrauch in der Familie bedeutet öfter als gedacht:
Mehrere Täter, Frauen wie Männer; mehrere Opfer, Jungen wie Mädchen.
Mehrere Generationen, manche waren erst Opfer und später Täter.
Es sind Missbrauchsfamilien
5) Zahlen – sie sind nichts Genaues:
Täter: ¼ Frauen und ¾ Männer
Opfer: 1/3 Jungen und 2/3 Mädchen, insgesamt jeder 10.
¾ aller Missbrauchsfälle finden in der Familie statt.
Heilendes
6) Wer auf seine Körperempfindungen genau achtet, kann sehr frühe Erinnerungen an sexuelle Gewalt wieder gewinnen. Unser Körper erinnert sich!
7) Meine Erfahrung in den SH-Gruppen mit den Menschen, die bereits länger in den Gruppen sind, ist ganz eindeutig: wenn die Erinnerung an ein Trauma mit beispielsweise 12 Jahren die heutigen Folgen nicht auflösen kann, dann ist die Geschichte mit 12 nicht komplett! Häufigster Grund ist, dass die 12-jährige Geschichte eine Retraumatisierung darstellt zu einer früheren Geschichte. Das kann durchaus bis ins 1. Lebensjahr zurückgehen.
8) Wir müssen in unsere Missbrauchsgeschichte hineintauchen. Die dabei gefundenen Wahrheiten sind wichtig nicht nur wegen der Klärung, sie fühlen sich auch gut an!
Und genau damit beginnen die Traumafolgen sich aufzulösen, sie verschwinden, sie heilen.
9) Die Traumatisierung findet im kompletten Nervensystem statt. Spüren – Fühlen – Denken.
Dort lassen sich die bis heute andauernden Folgen auch auflösen; und nur dort.
Gespräche zum Thema sind wichtig: deshalb organisieren wir Selbsthilfegruppen.
Spüren und Fühlen ist wichtig: deshalb organisieren wir Workshops zur Körperwahrnehmung.
10) Heilen heißt Selbermachen.
Selbst verantwortlich sein, sich selber helfen. Nicht mehr Opfer sein. Sich Hilfe holen, ja natürlich, verantwortlich aber selber sein.
11) Dort, wo’s zwickt, schauen wir hin. Welche Empfindungen mögen wir ganz und gar nicht? Genau dort lässt sich was finden.
12) Aktuelle Überreaktionen bedeuten Trigger. Wenn ich stark reagiere, fühle, denke bei einer ‚Lappalie‘. Diese Empfindung ist nicht falsch, ich bin nicht falsch. Allerdings: es wurde eine Erinnerung angetriggert. Und in der alten Geschichte war die Stärke meiner Reaktion angemessen.
Keine Angst vor ‚Retraumatisierung‘! Da wird in neuer Geschichte das alte Gefühl sehr stark angeregt. Wir suchen die alte Geschichte, die zum Gefühl passt.
Wir distanzieren uns z.B.: ich bin nicht das starke Gefühl, es hat einen Ort in meinem Körper und es wird wieder weggehen.
13) Starke Empfindungen aller Art können Erinnerungen sein. Wenn wir sie als solche ernst nehmen, können sie anfangen, sich aufzulösen.
Und jetzt kommt‘s: Schmerzen unbekannter Herkunft können Erinnerungen sein. Wenn sie das sind, dann sind sie auflösbar, restlos. Ich habe damit nennenswerte persönliche Erfahrungen, und einige unserer Mitglieder in den SHGen auch.
Manche Fälle von Migräne oder Fibromyalgie können Erinnerungsschmerzen sein.
14) Auch im Gelenk- und Muskelbereich manifestieren sich Erinnerungen. Wird daran gearbeitet, können die ursprünglichen Traumageschichten ‚hochkommen‘ und die Verspannungen o.ä. lösen sich auf.
Öffentliches
15) Mein Wunsch: Über sexuellen Missbrauch wird so oft und in ähnlicher Weise in der Öffentlichkeit berichtet wie über Autounfälle. Dass Missbrauch alltäglich ist, soll über die Medien erfahrbar werden.
16) Seine eigene Missbrauchsgeschichte erzählen ist wichtig. Das Problem ist nicht wirklich Scham, sondern Angst.
Meine eigene Geschichte ganz kurz: ich wuchs in einer Missbrauchsfamilie auf, Haupttäter war meine Mutter. Aber auch Vater, Großmutter, ein sadistischer Kinderschänderring. Der Missbrauch fand zw. 0 und 14 Jahren statt. Meine Haupt-Folge-Probleme waren Ängste, Hilflosigkeitsgefühle und Schmerzen (körperliche). Ängste und Hilflosigkeitsgefühle sind seit 5 Jahren restlos beseitigt. Mein Redeverbot war eine Todesdrohung. An den Schmerzen und an Sexualität arbeite ich.
17) Worum geht es? Es geht um die Verhinderung von Missbrauch. Und damit als allererstes um eine ständige öffentliche Berichterstattung. Täter müssen wissen, dass sie in Zukunft erwischt werden, weil wir Betroffene und die Medien darüber berichten.
Ich freue mich über eine Diskussion meiner Thesen.
Auch über diesen Vortrag hinaus. Wo, wie und wann auch immer.
Udo Gann
udo.gann@missbrauchsthemen.de